„Musik ist eine universale Sprache, und Feindschaft gehört nicht zu ihrem Wortschatz.« Daniel Barenboim, Begründer des West-Eastern Divan Orchestra
Immer wieder diskutieren wir bei Bazar andalus über unser Verhältnis zum Islam. Vor allem mit unserem Sänger Esmail Saedi, der vor den herrschenden Islamisten im Iran fliehen musste. Sein Fehler: Er hatte ein kritisches Lied gesungen. Esmail lehnt daher den Islam und jede Religion ab.
Was aber bedeutet es dann, wenn wir von Allah singen? Oder wenn auf unserer Startseite ein Kalligrafie mit dem Namen Allahs erscheint? Sind wir damit dann Moslems? Ist es ein Bekenntnis? Für Esmail ist es so. Für uns nicht. Als er das erste Mal mit uns „La ilaha illallah“ (traditionelle Deutung im Islam: Es gibt keinen Gott außer Allah) gesungen hatte, musste er drei Tage lang danach lachen: Drei Deutsche singen in der christlichen Kirche zu Allah, vor dem er geflohen war! Wo war er gelandet? Doch in unseren westlichen spirituellen Kreisen bedeutet dieser Gesang kein Bekenntnis zu Allah. Für viele noch nicht einmal zu Gott. Für mich ist es eine Energie, die mich anzieht, eine Hingabe an etwas Unbekanntes. Damit besteht eine Nähe zu der pantheistischen, unabhängigen Grundhaltung der Sufis, die bei ihren ekstatischen Dikr-Zeremonien singen:
„Es gibt keinen Gott außer IHM“ (lā ilāha illā Hū)
oder auch
„Es gibt nichts, sondern nur die Einzigkeit.“
Wir treffen uns mit Bazar andalus also in der Mystik und in der Musik, die jenseits von Glauben und Gottesbildern eine direkte Erfahrung der spirituellen Verbindung sucht. Diese Mystiker gibt es in vielen Religionen, im Christentum sind es Meister Eckart, Franz von Assisi, Hildegard von Bingen, Johannes von Kreuz und andere. Viele wurden als Ketzer von der Kirche angegriffen und auch hingerichtet. So auch im Islam, der sich immer wieder gegen die Sufis als islamische Mystiker richtet. Der Sufi Al-Halladsch (gest. 922) beispielsweise wurde hingerichtet als er voller Verzückung sagte „Ana’l-haqq! – Ich bin Gott!“. Er soll beim Anblick seines Henkers gerufen haben: „Oh mein Gott, Oh mein Gott, Du kannst mich nicht täuschen, Du kannst mich nicht täuschen! Selbst in meinem Henker erkenne ich Dich, denn ich habe Dich längst erkannt!“
Bei den Sufis wird Mystik manchmal mit einem Fluss verglichen, der als Quelle im Gebirge entspringt und später dann als Fluss die verschiedensten Länder durcheilt. Jedes Land, das er durchquert, beansprucht ihn für sich. Jedes Land gibt ihm seinen eigenen Namen. Aber in Wirklichkeit ist es nur ein Fluss. Durch welches Land und welche Landschaft er gerade fließt, es ist immer derselbe Fluss. So ist es auch mit der mystischen Erfahrung. Wahrheit kann man nicht besitzen, genauso wenig wie man einen Fluss besitzen kann. Man kann nur in ihn hineingleiten und sich ihm hingeben. Man kann an der Erfahrung teilhaben.
Ich habe versucht diese freie Haltung der Teilhabe ohne Bekenntnis und Anhaftung in folgende Worte zu fassen.
Unsere Idee von Convivencia – der Kunst des Zusammenlebens
Wir spielen arabische Instrumente und singen von Allah, wir singen auch christliche Gesänge und hebräische Lieder und rezitieren den großen Sufipoeten Rumi – aber wir gehören keiner Religion an, teilen keinen Glauben und suchen nach keinem alleinigen Gott. Wir singen auf kurdisch, persisch , arabisch, sephardisch, spanisch und deutsch- doch diese Sprachen und Kulturen sind für uns nur Wege der Erkenntnis der „göttlichen Vielfalt“. Wir respektieren die Menschen aller Religionen- aber das heißt nicht, dass wir ihre Religionen unkritisch übernehmen.
Toleranz darf nicht blind machen und den Dialog scheuen. Es geht uns um jeden einzelnen Menschen, nicht um seine Einordnung in Kollektive.
Der Satz „Bazar andalus verbindet Kulturen“ heißt für uns, dass wir in eine persönliche Verbindung über Grenzen hinweg treten. Nicht das wir diese Grenzen leugnen. Das gilt für Deutsche ebenso wie für Geflüchtete. Unsere Idee ist weder das unverbundene Nebeneinander von Multikulti noch eine imaginäre deutsche Leitkultur. Mit unserer Musik und Poesie möchten wir eine gemeinsame Spiritualität der Menschenrechte in Schönheit erlebbar machen, auch eine Freude wecken an ihren vielfältigen Farben, Klängen und Ausdrucksformen. Religionen und Traditionen können diesen gemeinsamen Weg behindern – und sie können auch eine Vorbereitung dafür sein.
So wie es der Dalai Lama in seinem Appell an die Welt formuliert hat:
„Seit Jahrtausenden wird Gewalt im Namen von Religionen eingesetzt und gerechtfertigt…Deshalb sage ich, dass wir im 21. Jahrhundert eine neue Ethik jenseits aller Religionen brauchen. Ich spreche von einer säkularen Ethik, die auch für über eine Milliarde Atheisten und für zunehmend mehr Agnostiker hilfreich und brauchbar ist.
Wesentlicher als Religion ist unsere elementare menschliche Spiritualität. Das ist eine in uns Menschen angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung – unabhängig davon, welcher Religion wir angehören.“
Oder wie es der Sufipoet Ibn Arabi aus al-Andalus sagte:
„Meine Religion ist die Liebe. Wo die Karawane auch hinziehen mag, ist Liebe meine Religion.“
Es geht darum, dass wir Menschen werden, jenseits unserer Zugehörigkeiten und Unterschiede. Vielleicht tanzen ja ein schwuler AFD- Sympathiesant (ja, die gibt es), ein Linker (sagen wir mal ein spirituell angehauchter) und eine konservative Moslema (Kopftuch, große Kajalaugen, Highheels) auf einem unserer Konzerten aus Versehen miteinander. Oder sie lächeln das gleiche Lächeln an einer Stelle im Gedicht.
Sie würden sich nicht kennen und hätten genau dadurch die Chance sich als potentielle Freunde zu erkennen.
Dann hätten wir mit Convivencia einen guten Job gemacht!
»Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe«
Dalai Lama
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