Convivencia – Die Poesie des Zusammenlebens

Ein Überblick über Geschichte, Kunst, Poesie, und Musik in al-Andalus

Ein Moslem und ein Christ spielen gemeinsam ein Lautenduett im 13. Jahrhundert in al-Andalus.

Ein Moslem und ein Christ spielen gemeinsam ein Lautenduett im 13. Jahrhundert in al-Andalus. © Monasterio de El Escorial, El Escorial, Spain/The Bridgeman Art Library, Link

In der Zeit von al-Andalus in Europa kam es zu einer einmaligen gegenseitigen Befruchtung der Religionen und der Künste, der Wissenschaft, des Gartenbaus, der Architektur. Cordoba wurde mit rund einer Millionen Einwohner die bedeutendste Metropole Europas. Die Universität von Cordoba gehörte zu den führenden Bildungsstätten Europas. Einzigartig in ihrer Zeit war die Entwicklung der urbanen Lebensqualität der Städte in al-Andalus – mit Wassertoilette, Kaffee, Badekultur und Massage. Bis Ende des 11. Jahrhunderts gab es ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Gegensätze überbrückte. Viele religiöse Feste wurden gemeinsam gefeiert, Ostern und Fastenbrechen vereinte Muslime und Christen. Man kann durchaus von einer gemeinsamen »Lebensbehausung« (morada vital) sprechen, welche die Religionsgrenzen überwand.

Es ist ein Weltkulturerbe, das es zu entdecken gilt, eine Pilgerreise zu den Ursprüngen einer gemeinsamen europäisch-arabischen Kultur. Nachdem die Kunst und Kultur aus al-Andalus lange Zeit ausgerottet und vergessen schien, bemühen sich heute Philosophen, Musiker, Architekten, Maler und Dichter auf der ganzen Welt, die Schätze und Zeugnisse des alten Al Andalus und seine Spuren in der Geschichte wieder zu entdecken.
Wie spricht ein Gedicht aus alter Zeit zu uns heute über Schönheit, Liebe, Eros, Heimat, Zusammenleben und Freiheit?
Was im jetzigen Europa der Flüchtlingswelle und ihrer Abwehr politisch noch schwer zu realisieren ist, ist schon poetische Wirklichkeit in den Gedichten, Farben und Klängen von al-Andalus. Im Kunstprojekt Convivencia geht es uns darum, den aufgeklärten, toleranten und lebenssinnlichen Geist von al-Andalus frei zu legen und für unsere heutige Zeit erlebbar und nutzbar zu machen.
…mehr lesen: Al-Andalus: Ein geschichtlicher Überblick und Ausblick

Al-Andalus: Brücke zwischen Abendland und Morgenland

al-Andalus um 910

al-Andalus um 910, CC BY-SA 3.0, Link

Im goldenen Zeitalter in Spanien von 711 bis 1492 – dem islamisch geprägten al-Andalus – kam es zu einem nicht konfliktfreien, aber kreativen Zusammenleben von Moslems, Christen und Juden. In dieser 800jährigen Epoche kam es zu einem einzigartigen Miteinander und einer Blüte von Wissenschaft, Philosophie, Literatur und Kunst. Auch die Anerkennung der Frauen, die Sinnesfreuden und die mystische und erotische Liebe wurden freizügig gelebt und besungen. Die europäische Aufklärung begann in al-Andalus – und wurde sowohl durch die christliche Rückeroberung als auch durch islamische Fundamentalisten wieder zerstört. Durch die reconquista, die christliche Rückeroberung, wurde mit der Einnahme von Granada 1492 diese Epoche beendet. Die convivencia, die gegenseitige Befruchtung der Religionen und Kulturen hat zwar nur einen – heute weitgehend vergessenen – geschichtlichen Moment lang gehalten. Doch in den Zeugnissen der Poesie, Philosophie, Kunst und Musik können wir wir den freien Geist von al-Andalus heute noch weitersprechen lassen.
… mehr lesen: Ziryab – der Kulturrevolutionär

Philosophie und Wissenschaft in al-Andalus

Aristoteles unterrichtet Astronomie

Aristoteles unterrichtet Astronomie. Die arabischen Wissenschaften waren sehr stark von der kassischen griechischen Lehre beeinflusst, deren „natürliche Philosophie“ ein komplettes Wissensystem, welches sowohl Physik wie Metaphysik beinhaltete.© Topkapi Palace Museum, Istanbul

Die islamische Zivilisation ist Erbin der griechischen Antike, nicht minder als das christliche Abendland. Während im Westen die Kenntnis des Griechischen untergegangen und somit der Zugang zu den Quellen des antiken Denkens verschüttet war, lebte dieses Erbe im Osten in arabisierter Form weiter. Die Begegnung von griechischem Denken und orientalischer Religion führte zu tiefgreifenden innerislamischen Spannungen, die vernunftbasierte Reflexion geriet in Konflikt mit göttlicher Offenbarung. Dieser Konflikt hat unsere gemeinsame orientalisch-mittelmeerisch-abendländische Welt geprägt. Ein an Aristoteles geschultes kritisches Denken stieß mit der herrschenden Orthodoxie zusammen, und zwar in allen drei Offenbarungsreligionen, sowohl im Islam als auch im Christentum und im Judentum. In al-Andalus konnte dieser Konflikt fruchtbar gemacht werden und begründete so die europäische Aufklärung. Eine zentrale Rolle spielten dabei die Übersetzerschulen, insbesondere in Toledo, in denen die alten griechischen Schriften zunächst ins Lateinische und dann ins Spanische übersetzt wurde. So wurden die Grundlagen der Aufklärung gemeinsam von jüdischen, christlichen und moslemischen Gelehrten gelegt. Auch die Wissenschaften der Mathematik, Geometrie, Astronomie, Architektur, Medizin, Biologie, Geographie und Anfänge der soziologischen Geschichtswissenschaften gelangten hier zur Blüte und brachten einige der bedeutensten Wissenschaftler der Neuzeit hervor.
… mehr lesen: Philosophie in al-Andalus

Die Kunst von al-Andalus

By gema de la fuente (La Alhambra) (CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)), via Wikimedia Commons

Detail aus der Alhambra, von Gema de la fuente (La Alhambra) (CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)), via Wikimedia Commons, Quelle

Im Zentrum der andalusischen Kunstformen steht die Ornamentik, zusammengefasst in dem Begriff Arabeske, die sich mit mathematischer Genauigkeit wiederholt und ineinander verflochten ist. Die Hervorhebung von einzelnen Elementen sollte der islamischen Auffassung gemäß verhindert werden. Die unendlichen Entfaltungen und die Zurücknahme der schöpferischen Manifestationen gelten als Zeichen für die Allgegenwart des Schöpfers. Ausgangspunkt sind dabei oft Motive aus der Pflanzen- und Tierwelt, häufig werden auch Texte aus dem Koran, besonders der Namen Allahs, in das Gesamtornament eingeflochten. Die Menschen werden durch die künstlerische Form aufgefordert, sich an die verborgene Göttlichkeit zu erinnern.
In der islamischen Kunst haben sich dafür abstrakte Darstellungen entwickelt:

  • Die Kalligraphie als bildliche Wiedergabe des Wortes Gottes
  • Das geometrische Ornament als Darstellung der Verflechtungen eines unfaßbaren Daseins
  • Architektonische Formen, wie z.B. die Moschee und der Garten als Sinnbild des Pradieses

…mehr lesen: Die Kunst von al-Andalus

Dichtung in al-Andalus

Die Geschichte von Bayâd und Riyâd (« Hadîth Bayâd wa Riyâd »), Maghrebinisches Manuskript, Szene: Bayâd singt zur Laute vor der Herrin und ihren Dienerinnen – Maler der Geschichte von Bayâd und Riyâd (Public domain), via Wikimedia Commons

Es gibt Erinnerungen an das Wunder von al-Andalus: In dieser Zeit entstanden Lieder und Gedichte, die noch heute einzigartig und modern sind. Sie spiegeln die göttliche Liebe in der irdischen Liebe wieder. Das Himmlische wurde in ihnen sinnlich, das Heilige komisch und das Lüsterne rein.
Sowohl Männer wie Frauen schufen verschiedene Formen des Eros in der andalusischen Dichtung:

Landschaftserotik – eine Verehrung der Natur und insbesondere der Gärten als Spiegelung des Paradieses auf Erden

göttlicher Eros – die Verehrung des Geliebten und der Geliebten als Spiegelungen des göttlichen Geliebten

Sinnesfreude und Ekstase – Wein, Gesang, Tanz, Sinnlichkeit als Spiegelung der rauschhaften Hingabe an den göttlichen Geliebten

Geschlechterindifferenz – eine fließende Grenze in der geschlechtlichen Identität des Geliebten mit einer Offenheit auch für Homoerotik

Neben der thematischen fand auch eine kulturelle Durchmischung statt. Der Romanistikprofessor Georg Bossong schreibt: „Auf hispanischem Boden vollzog sich die symbiotische Verschmelzung von arabischer und hebräischer Sprachkultur; nur hier kam es zu einer doppelten Blüte- und darüber hinaus zum ersten Aufknospen einer dritten Blüte, der Dichtung in den romanischen Sprachen. Nirgends kam es zu einer solchen Durchdringung der Sprachen und Literaturen wie in al-Andalus. Gewiss gab es auch hier Konflikte, Verfolgung und Unterdrückung. Aber für einen kurzen historischen Moment wurde der Traum von einem friedlichen Miteinander Wirklichkeit.” (Das Wunder von al-Andalus S. 38)
… mehr lesen: Poesie und Eros in al-Andalus

Die nach al-Andalus mitgebrachte arabische Oud ist die Vorgängerin der westlichen Laute und der Gitarre

Die nach al-Andalus mitgebrachte arabische Oud ist die Vorgängerin der westlichen Laute und der Gitarre

Arabisch-andalusische Musik

Die arabisch-andalusische Musik ist heute noch in ganz Nordafrika, vor allem in Marokko, zu hören. Sie breitete sich in einem Jahrhunderte andauernden Prozess der kulturellen Begegnung zwischen Abendland und Morgenland aus. Die spätere Flucht und Vertreibung der Muslime und der Juden führte dazu, dass sich die arabisch-andalusische Musik noch weiter verbreitete. Auch gelangten zahlreiche Instrumente von hier aus in den europäischen Raum: die arabische Oud (Laute), die Rebab (Geige), die Quithara (Gitarre), sowie zahlreiche Flöten, Trommeln, Oboen und Trompetenarten. Als Musikstile die sich mit der arabischen Musik vermischten, liegen hier die Ursprünge des Flamenco, des höfischen Minnegesang und die jüdisch-sephardischen Lieder.
…mehr lesen: Arabisch-andalusische Musik

Sufismus in al-Andalus

Darstellung Ibn Arabis, von Unbekannt (Public domain), via Wikimedia Commons

Darstellung Ibn Arabis, von Unbekannt (Public domain), via Wikimedia Commons

Der Kern des Sufismus ist überall und unabhängig von seiner historischen und kulturellen Form immer derselbe: die unmittelbare Erfahrung der absoluten Einheit Gottes. Die Sufis nennen ihren barmherzigen Gott den „Geliebten“. Der Sufismus ist so die friedliche, tolerante und sinnesfrohe Strömung im Islam. Er kann eine Brücke bilden zwischen westlichen Menschen auf der Suche nach einem undogmatischen Erfahrungsweg und moslemischen Menschen, die in ihrer eigenen Tradition einen Befreiungsweg suchen.

In al-Andalus konnte der Sufismus eine Verbindung von Aufklärung und Mystik eingehen. Nahezu alle großen Philosophen und Dichter in al-Andalus standen in Beziehung zum Sufismus. Die berühmtesten Poeten in al-Andalus waren auch große Sufimeister, so etwa Ibn al-Arabi, al-Shushtari und viele andere. Die drei grundlegenden Erkenntnisquellen- die traditionelle Lehre, die wissenschaftliche Vernunft und die mystische Eingebung- fanden hier zusammen. Daraus ergibt sich eine natürliche Toleranz, wie sie in Ibn Arabis berühmten Gedichtzeilen zum Ausdruck kommt:

„Mein Herz hat sich für jegliche Form geöffnet / Es ist eine Weide für Gazellen / und ein Kloster für christliche Mönche / und ein Tempel für Götzenbilder / und die Kaaba der Pilgernden / und die Tafeln der Thora / und das Buch des Korans.“

Ibn Arabis Worte reflektieren den Geist von Al-Andalus, das über Jahrhunderte ein Inbegriff der friedlichen Koexistenz verschiedener Religionen und Weltanschauungen war. Eine sehr interessante Verbindung besteht zwischen den beiden wichtigsten Meistern des Sufismus, zwischen dem persischen Sufipoeten Maulana Rumi und ibn Arabi. Diese „beiden Ozeane der Weisheit“ trafen in Damaskus aufeinander und schufen eine Brücke zwischen dem freien Geist von al-Andalus und dem Weg der universellen Liebe von Rumi.
… mehr lesen: Über den Sufismus


Bild am Seitenanfang: Innenraum der Mezquita (Moschee), Spanien von Berthold Werner [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons